Übersterblichkeit durch Covid-19 in Deutschland
Verursachte Covid-19 eine Übersterblichkeit in Deutschland für das Jahr 2020?
Die Antwort ist nein, zumindest, wenn man statistisch seriös argumentiert.
Die Sterbezahlen sind deshalb eine so wichtige Größe, weil man sie kaum manipulieren kann. Sie werden von den Standesämtern gemeldet, und diesen ist es egal, ob auf dem Totenschein Covid-19 steht oder nicht. Auch die Gesundheitsämter können die Sterbezahlen nicht beeinflussen.
Manche behaupten, es gebe für 2020 eine Covid-19-bedingte Übersterblichkeit angesichts einiger Wochen am Jahresende, in denen die Sterbezahlen deutlich höher lagen als normal. Das Wort „normal“ bezieht sich hier auf den Jahresdurchschnitt der entsprechenden Wochen in den Jahren 2016 bis 2019. Dies ist aber so nicht zulässig, da es stets Schwankungen in der Wochensterblichkeit gibt, wie aus folgender Abbildung leicht ersichtlich ist.
Aussagekräftiger als die reinen Zahlen pro Woche sind deshalb kumulierte Zahlen, etwa über das ganze Jahr. Diese kann man aufsummieren, und sieht dabei, dass der Wert für 2020 (orange Linie) geringfügig über dem Mittelwert der Jahre 2016 bis 2019 liegt.
Dies ist jedoch statistisch nicht auffällig. In der Hälfte aller Jahre dürfte der Wert ein wenig über der Linie liegen und in der anderen Hälfte ein wenig darunter. Tatsächlich liegt der Wert innerhalb des aus den Jahren 2016 bis 2019 abgeleiteten Schwankungsbereichs, das sogenannte 95%-Streuintervall (rot). Um eine besondere und auffällige Beobachtung zu markieren, müsste der Wert (weit) oberhalb dieses Intervalls liegen. Ansonsten liegt die Beobachtung innerhalb der ganz natürlichen Schwankungen von Jahr zu Jahr.
Zwischenfazit: Im Dezember 2020 gab es zwar mehr Tote als in den vergleichbaren Vorjahreszeiträumen, aber übers Jahr gesehen waren die Sterbezahlen noch im Bereich der erwartbaren Schwankungen.
Gab es also doch eine leichte Übersterblichkeit wegen Corona?
Seit dem 29.1.2020 kann man hier endgültige Klarheit erhalten, denn seit diesem Zeitpunkt liegen auch nach Altersgruppen aufgeschlüsselt die Sterbezahlen bis zum 31.12.2020 vor. Grundsätzlich zeigt schon ein kurzer Blick auf die „COVID-19-Todesfälle nach Altersgruppe und Geschlecht“ des RKI-Corona-Dashboards, dass vor allem Personen aus der Altersgruppe „80+ Jahre“ und zu einem geringeren Teil auch aus der Gruppe „60-79 Jahre“ an oder mit Corona verstorben sind.
Wie sieht es nun mit den Sterbegeschehen in den jeweiligen Altersgruppen aus? Die folgende Abbildung zeigt den Anteil der Personen, die in den Jahren 2012 bis 2020 jeweils während des Jahres verstorben sind, aufgeschlüsselt nach Altersgruppen. Zugrunde gelegt werden hier immer die jeweiligen Anzahlen am 31.12. des Vorjahres.
Die zugehörige Tabelle zeigt die Durchschnittswerte in den Jahren 2012 bis 2019 und den Wert in 2020:
Die relative Sterbezahl des Jahres 2020 war in den Altersgruppen bis einschließlich 59 Jahre und in der Gruppe „80-89 Jahre“ (!) gleich groß oder niedriger als der entsprechende Durchschnittswert der Jahre 2012 bis 2019. In den Gruppen der 60- bis 79-Jährigen waren die Zahlen des Jahres 2020 minimal über dem Durchschnitt und in jedem Fall innerhalb des normalen Schwankungsbereichs. Nur bei den Personen der Gruppe mit 90 und mehr Jahren war die Sterblichkeit in 2020 mit 24,2% leicht über dem Durchschnitt von 23,7%, was allerdings immer noch im Bereich der normalen Schwankungen liegt. Letzteres erkennt man schon daran, dass auch in den Jahren 2012, 2013, 2015 und 2018 mehr als 24% Sterblichkeit in der Gruppe 90+ beobachtet werden konnte. Legt man zudem die beiden Gruppen 80-89 und 90+ zusammen, so ergibt sich wiederum eine Untersterblichkeit in der Gruppe „80+“ im Vergleich zum Durchschnitt im Intervall 2012-2019. Wenn man die relative Sterblichkeit über alle Gruppen gemäß ihrer Größe gewichtet und den Wert des Jahres 2020 mit den Vorjahren vergleicht (das Gesamtäquivalent), so zeigt sich für 2020 ein unterdurchschnittlicher Wert.
Bei all diesen Überlegungen wurde die Tatsache, dass das Jahr 2020 ein Schaltjahr war, noch gar nicht berücksichtigt. Die kleine Rechenübung, die obigen Prozentzahlen noch mit 365/366 zu multiplizieren, kann jede und jeder gerne selbst durchführen. Die Zahlen für 2020 werden noch ein klein wenig kleiner, aber an den wesentlichen Fakten ändert sich nichts.
Fazit
Es gab zwar im Jahr 2020 in Deutschland eine höhere Gesamtsterbezahl als in den Vorjahren. Diese ist jedoch damit erklärbar, dass es immer mehr ältere Leute in den Gruppen „60-79 Jahre“ und „80+ Jahre“ gibt. In diesen Gruppen war die prozentuale Sterblichkeit im Jahr 2020 allerdings in etwa gleich groß oder sogar niedriger als im Durchschnitt der letzten 8 Jahre.
Dies kann auf Covid-19 bezogen nur heißen: Jene „an und mit“ dieser Krankheit verstorbenen älteren Menschen wären ohne Covid-19 wohl an einer anderen Krankheit verstorben. In manchem Einzelfall mag dies nicht zutreffen, aber über die ganze Altersgruppe hinweg kann man das statistisch seriös so zusammenfassen.
Quellen:
https://experience.arcgis.com/experience/478220a4c454480e823b17327b2bf1d4
https://www.stablab.stat.uni-muenchen.de/_assets/docs/codag-bericht-4.pdf